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5. Juni

Nach dem wundervollen gestrigen Abend und einer regnerischen Nacht – der erste Regen seit unserer Ankunft am Samstag – liessen wir es heute Morgen etwas ruhiger angehen. Nach unserem gewohnten Frühstück ging es an die Vorbereitung für den Tag. Wie jeden Morgen kontrollierten wir unsere Motorräder, insbesondere den Ölstand, den man immer im Blick halten sollte.

Da wir gegen 15 Uhr beim Pegasus-Museum sein sollten für das grosse WD-Motorradtreffen, ging es auch morgens schon in Richtung Ouistreham. Den ersten Stopp machten wir in Bernières-sur-Mer beim Maison der Queen's Own Rifles of Canada.

Maison Queen's Own Rifle Regiment of Canada

Am 6. Juni um 7:15 Uhr landete das Queen's Own Rifle Regiment of Canada vor Bernières mit der Aufgabe, die Kasematte bei La Cassine auszuschalten. Um 8:05 Uhr waren die Soldaten an Land. Aufgrund des Seegangs konnte keine Artillerie oder schwere Ausrüstung angelandet werden, was zu erheblichen Verlusten führte. Es könnte gut das erste Haus auf französischem Boden gewesen sein, das von den seegestützten alliierten Streitkräften befreit wurde.  In Sichtweite dieses Hauses wurden über 100 Männer der Queen's Own Rifles in den ersten Minuten der Landung getötet oder verwundet. Trotzdem gelang es ihnen, die Kasematte zu zerstören, L'Étrille und Les Goélands zu erobern und mehrere deutsche Soldaten mit Granaten zu vertreiben. 

Das Haus wurde anschliessend vom britischen Admiral Cooper besetzt, der es bis September 1944 als Hauptquartier nutzte und die schwierige Aufgabe hatte, alle Nachschuboperationen für die vorrückenden alliierten Truppen zu koordinieren. Täglich kamen flachbodige Lastkähne aus England und entluden ihre Fracht am Strand von Bernières, um bei der nächsten Flut zurückzukehren.

Das Haus wurde heute zum ersten Mal seit dem Krieg für die Öffentlichkeit geöffnet. In allen Zimmern werden Geschichten von Bewohnern aus der Region und gefallenen Soldaten erzählt.

Links: Michel Lettelier - Douvers-la-Delivrande: 

In der Zeit vom 5. bis 6. Juni war das Bombardement intensiver als sonst. Der Himmel stand in Flammen. Um fünf Uhr morgens rannten meine Mutter und meine Schwester zum Graben am Fusse von Madame Picards Thérbage. Dort liessen wir uns mit anderen Leuten nieder. Von Zeit zu Zeit betete meine Mutter mit mir den Rosenkranz. Nach einer kleinen Pause kehrten wir gegen zehn Uhr nach Hause zurück. Mein Vater räumte die zerbrochenen Fenster aus und wir assen zu Mittag. Am Nachmittag sahen wir Segelflugzeuge, die Truppen transportierten. Erleichtert, wie eine einfache Übung, ohne vom Feind behindert zu werden. Am Abend sahen wir in der Nähe von La Baule einen Fallschirm absteigen. Das Kanonendonner war ununterbrochen. Mit unseren Nachbarn beschlossen wir, auf Stroh zu schlafen, im Poterie-Keller am Ende der Sackgasse. Es ist immer besser als im Graben.

Rechts: Colette Le Delezir heiratet Lorand – 20 Jahre alt im Jahr 1944 – Courseulles-sur-Mer:

Seit mehreren Tagen schlafe ich nicht mehr zu Hause, sondern bei meiner Freundin Denise Levron in der Rue de l'Eglise. Am Abend des 5. Juni beginnt der Lärm von Flugzeugen und Bombenanschlägen gegen 11 Uhr. Mein Vater stellt fest, dass es nicht wie immer ist, und beschliesst, mit meiner Mutter und meinem Bruder zu mir zu kommen. Unterwegs treffen sie den alten Lehrer, Monsieur Aumont, sowie einen alten Seemann. Alle sind der gleichen Meinung: „Es passiert etwas Ungewöhnliches!“ Meine Eltern und mein Bruder kommen zu mir, zum Haus meiner Freundin, wo bereits etwa zwanzig Leute im Haus sind. Wir bleiben dort vier bis sechs Stunden. Während der Bombardierungen bewegt sich der Boden unter unseren Füssen. Nach ein paar Stunden sehen wir Soldaten ankommen, ihre Gesichter sind ganz schwarz verschmiert, mit kleinen Funkgeräten auf dem Rücken. Sie fragen uns im alten normannischen Patois, was wir dort machen, weil sie überzeugt sind, dass Courseulles evakuiert wurde. Sie übermitteln die Informationen per Telefon, sodass die Aufnahmen zeitlich versetzt erfolgen. Wenig später baten Leute von der passiven Verteidigung um einen Besuch bei meinen Eltern, um ihnen zu sagen: „Seid mutig, denn euer Haus wurde gerade zerstört!“ Mama zeigt Gelassenheit und erklärt: „Wir sind alle vier wohlauf, das ist die Hauptsache.“ Am Nachmittag schauen wir uns an, was von unserem Haus noch übrig ist. Mitten im Schutt finde ich einen Stapel Teller vom Buffet im Speisesaal. Optisch sind sie da, aber wenn ich sie aufheben möchte, verwandeln sie sich in Asche.

 

Links: Rémy Cassigneul – 19 Jahre alt im Jahr 1944 – Tailleville

Sehr früh am Morgen wurde ich von den Deutschen geweckt: Sie brauchten ein Pferd, das beschlagnahmt worden war. Ich fragte sie, was los sei. Sie antworteten mir: "Invasion!"Ich holte das Pferd und entdeckte das schwarze Meer der Boote. Es war die Landung! Was ich hörte, waren all diese Boote, die zusammenkrachen. Wenig später sagte eine Frau zu mir: "Bleib nicht dort, du wirst getötet!" Eine Granate schlug ein und explodierte. Ich lief über die Wiese, aber schon bald flogen fünf oder sechs Kugeln an meinen Ohren vorbei. Es waren die Deutschen, die auf mich schossen! Sie schlossen sich dem Lager an. In Basly versteckte ich mich in einem Loch, wo ich eindöste... Einen Tag später erreichte ich die Strasse, die bereits voller Kanadier war. So ging es weiter. Pel hatte die Landung gesehen! Am Morgen des 6. Juni hatte ich nichts gegessen, und was das Waschen anging, darüber reden wir besser nicht... Am Ende des Tages ging es nicht mehr, wir hatten den Eindruck, dass der Krieg vorbei sei. Wir unterhielten uns in der Nähe des Caiveire mit einem kanadischen Soldaten, der seltsames Französisch sprach. Plötzlich brach er zusammen, getroffen von einer Kugel eines deutschen Scharfschützen aus Plesse am Kopf. Wir legten ihn auf den Tisch eines Bauernhofs, wo er kurz darauf starb. Ich komme von so weit her, um getötet zu werden!!!

Am 6. Juni werde ich von Flugzeugen geweckt, die aus dem Meer kommen, und von Flugzeugen, die viel tiefer fliegen als gewöhnlich. Ich starte von sehr gutem Boden aus und das Meer ist von dichtem Nebel bedeckt. Soldaten ziehen sich bereits in Richtung Basly zurück. Ich erkundige mich nach den Offizieren des Docks, und sie sagen zu mir: "Invasion!" Sie kehren zur Farm zurück. Ich treffe einen Offizier, der ein Pferd verlangt. Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, sich zu weigern, denn er ist sehr nervös. Ich bitte um einen Pass, um das Pferd auf den Feldern zu retten. Flugzeuge kommen vom Meer aus in geringer Höhe an, um ein Ziel in Richtung A zu bombardieren. Weisse und rote Fackeln dienen dazu, Rauch abzugeben, der den Ort des Bombenangriffs signalisiert. Die Angst in meinem Magen, kehre ich im Dreifachgalopp zurück. In der Zwischenzeit der deutsche Offizier... Geneviève Bourte kommt mit dem Fahrrad aus Cheux, um einige Verwandte ihrer Familie abzuholen und ihnen anzubieten, zu ihr zu kommen. Sie glaubt, dass es für sie sicherer wäre, wenn sie die Stadt verlassen. Sie kann sie jedoch nicht finden, weil sie sich auf den Weg gemacht haben, um nach Chet des Aisins zu fliehen. Im selben Moment fiel eine fette Person auf den Türpfeiler. Es ist ein Wunder, dass wir nicht verletzt wurden. "Bleib nicht länger dort", schreit Geneviève, "du wirst getötet!" Die Bomben fallen auf das Dorf. Um sie zu vermeiden, fliegen Kugeln an meinen Ohren vorbei, und ich krieche in das hohe Gras. Sie besetzen eine Betonkonstruktion in der Gegend. Mein Taschentuch in der Gegend – ich hoffe, dass sie mich wiedererkennen – und ziehen sich in Richtung des Lagers von Dover zurück, wo es grosse Schutzräume gibt. Sie wollen, dass ich gehe, aber ich habe es nicht eilig. Überall schlagen Granaten ein, und einer der Deutschen wird getötet. Ich werfe mich in meine Deckung und bleibe dort. Warten Sie, bis der Angriff vorbei ist. Die Strasse ist bereits voll von Kanadiern. Es scheint, dass der Krieg vorbei ist. Ein kanadischer Soldat erzählt seine Geschichte, und eine kleine Gruppe bildet sich um ihn. Wir bringen ihn zur Farm von Marcel Beuet, wo er kurz darauf stirbt. Er kommt von so weit weg und wird von einer Kugel am Kopf getroffen.Leider ist es noch nicht vorbei. Ein Nachbar erzählt mir, dass mein Onkel gerade auf seiner Farm getötet wurde. Eine Granate verfehlte ihn durch das Fenster und tötete ihn am Kopf. Es ist eine Katastrophe. Als Veteran des Krieges von 1914/18 hätte er so gerne mit unseren Befreiern gesprochen und das ganze Spektakel genossen. Der Chef der kanadischen Abteilung bittet unseren Bürgermeister, dass kein Bürger in den Ländern bleibt. Wir improvisieren Zelte auf einer Rasenfläche. Wir stellen ein Strohbett und Decken als Bett auf. Der Bürgermeister bittet einen Ingenieur, ein Nachthemd von ihren Vorfahren zu machen. In dieser friedlichen Ruhe kann uns nichts passieren. Der längste Tag geht für uns zu Ende!

Rechts:  Françoise de Reviers de Mauny – 20 Jahre alt im Jahr 1944 - Ordensschwester in Notre Dame de Fidélité in Douvres-la-Délivrande

Im März 1944 kamen Adrien im Alter von 6 Jahren und Arthur im Alter von 8 Jahren zu uns. Es war eine Nonne, die sich um sie kümmerte. Wir nennen sie „kleines A“ und „grosses A“. Sie sind sehr mutig und beschweren sich nie. Wir sagen nie ihren Nachnamen. Ich habe die Gewohnheit am 19. Mai 1944 angenommen. Die Lebensregeln sind sehr streng. Mit den anderen Schwestern darf ich nicht ausgehen. Ich bleibe im Kloster und weiss nichts darüber, was draussen vor sich geht. Am Morgen des 6. Juni, gegen 6:30 Uhr, betete ich gerade, als eine Schwester angerannt kam: "Sie kommen, sie kommen, kommt und seht, es ist fantastisch!" Wir steigen mit voller Geschwindigkeit in den 4. Stock, in einen Dachboden, von wo aus wir das Meer sehen können. Der frühe Morgen beginnt zu dämmern. In der Ferne sehen wir eine Menge Schiffe ankommen. Wir sind fassungslos, ohne Worte, vor dieser kompakten Masse. Dann beginnen die Granaten zu fallen. Plötzlich ein riesiger Lärm ganz in unserer Nähe: Es ist die erste Beschuss eines Marineschiffs, der in das etwa fünfzig Meter entfernte Treppenhaus einschlägt. Wir nehmen Zuflucht im Erdgeschoss, in einem Raum neben der Lalique-Kapelle. Das Dach, ein Teil der Böden und die Treppe stürzen ein. Mehrere von uns entkamen knapp den Splittern. Unser Refektorium wird getroffen. Eine Minute zuvor bereitete dort ein Koch das Essen zu. Der Generalobere hatte ihm befohlen: „Raus, es ist verdammt gefährlich!“

Die Bombardierungen kommen vom Meer, aber auch vom Land und verstärken sich. Also flüchten wir in den Keller und rufen alle zusammen, um zu überprüfen, ob niemand vermisst wird, ohne dabei das kleine A und das grosse A zu vergessen. Zwei kleine Stimmen antworten „anwesend“. Die Einwohner von Dover suchten Zuflucht in einem anderen Keller. In Douvres-la-Délivrande wurden dreizehn Menschen getötet, darunter unser Kaplan und zwei weitere Patres von Delivrande. Angesichts dieses Schmerzes fällt es uns schwer, die Freude der Befreiung zu erleben.

Natürlich liessen wir es uns nicht nehmen, am Strand auf und ab zu gehen. Morgen, am 6. Juni, wird es im gesamten britischen Sektor kaum möglich sein, an den Strand zu gelangen.

Weiter ging es nach Lion-sur-Mer, wo zwei Spitfires ausgestellt sein sollten. Im Ort angekommen, sahen wir überall Plakate und Banner, die für die Spitfires und das Festival warben. Nachdem wir den Ort durchquert hatten und weder Wegweiser noch sonstige Hinweise gesehen hatten, suchten wir den Event auf Facebook. Doch auch der angegebene Punkt auf Facebook stimmte nicht. Nach Rückfrage bei Einheimischen wurde uns der Weg gewiesen. Ohne ihre Hilfe hätten wir den Ort nicht gefunden. Keine Wegweiser, keine Hinweise. Gar nichts.

Nach einigen Gesprächen ging es weiter via Ouistreham nach Bénouville zur Pegasusbrücke zum Mittagessen.

An der Brück war es bereits sehr voll und es herrschte eher Volksfeststimmung als eine Gedenkveranstaltung. Die Strassen um die kleine Ortschaft waren kilometerweit komplett verstopft. Neben vielen Zuschauern gab es natürlich auch eine Fülle an Menschen in Uniformen und Ähnlichem. Zudem floss der Alkohol in Strömen. Auch wenn wir natürlich kein Massstab für das Ganze sind, war es schrecklich, wie einige Leute in seltsamen und unpassenden Uniformkombinationen sich unter das Volk mischten. Eines der wichtigsten Accessoires heute war natürlich die Sonnenbrille, die in jeglicher Form vertreten war.

Die andre Seite der Medaille - Eines der hauptsächlichste Accessoires zur Uniform des 2. Weltkriegsoldaen an DDay gehört eine Sonnenbrille, Bärte und lange Haare und Alkohol in rauen Mengen. 

Nur zweimal in den zwei Stunden, die wir dort waren, kam etwas wie Gedenken auf. Erstens, als eine ganze Kolonne von britischen Limousinen mit britischen Veteranen vorbeifuhr, und etwas später, als mehrere Busse mit amerikanischen Veteranen vorbeikamen. Für einen kurzen Augenblick waren die Leute ruhig und applaudierten. 

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Corso mit britischen Veteranen quert die Brücke

 

Kurz vor 15 Uhr fuhren wir dann selbst über die Brücke, um im Innenhof im Pegasusmuseum neben der originalen Brücke von vor 1994 unsere Motorräder zu parken. Rund 160 britische Motorräder aller möglichen Marken wie BSA, Matchless, Royal Enfield, Ariel, AJS und Triumph konnten bestaunt werden. Einige waren wunderbar restauriert, bei anderen fragte man sich, ob sie überhaupt noch fahrtüchtig sein dürften. Rund 2 Stunden lang konnten wir fachsimpeln, staunen und plaudern. Auch einige britische Veteranen des Koreakrieges waren zugegen.

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Als Abschluss wollten wir nochmals zur Batterie de Merville. Dort fand bei unserer Ankunft die offizielle Gedenkveranstaltung statt. Leider konnte kein Veteran der Einnahmen am 6. Juni 1944 daran teilnehmen. Der letzte Angehörige des 9. Bataillons, der bei der Erstürmung am 6.6.44 dabei war, ist vergangenes Jahr verstorben. Die Zeremonie war wie gewohnt sehr würdevoll und dauerte fast 1 1/2 Stunden. Als Abschluss wurden Brieftauben als Zeichen des Friedens freigelassen.

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Eigentlich sollten um 18 Uhr noch Fallschirmspringer abspringen, aber leider kamen diese nicht. Mehrere hundert Besucher hatten sich in der Anlage und auf der anderen Strasenseite versammelt, um dieses Schauspiel zu bestaunen. Leider gab es auch hier keine Information oder sonstiges. Gegen 19:00 Uhr machten wir uns auf den Rückweg, mitten durch ein immer noch verstopftes Bénouville und über die Pegasusbrücke. Morgen am 6. Juni werden wir ebenfalls unterwegs sein. Wo und wie, wissen wir noch nicht. Vieles wird gesperrt sein.

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